Dieser Frage begegnete ich vor ein paar Tagen in einem Artikel. Zugleich fing es an, sich in mir zu bewegen.
In dem Text ging es um die Sätze, die wir früher von unserer Mutter und unserem Vater hörten und die wir heute selber weitergeben. Somit wohnen unsere Eltern in uns, ohne dass wir die Meinung der Eltern vielleicht teilen. Es ging nicht darum, die Sätze zu verurteilen, sondern sich ihrer bewusst zu werden.
Ich will jetzt gar nicht wieder auf dem Thema Glaubenssätze herumdenken!
Ich mag aber die Überlegung darüber, wer in mir wohnt!
Ich stelle mir vor, wer ich wohl wäre, wenn ich nicht schon so viele Jahre mit meinem Partner zusammen wäre. Würde ich die Momente genauso erleben wie jetzt? Wäre ich an mancher Stelle mutiger und ließe mir nicht die ein oder andere Sache abnehmen? Oder wäre ich in einem anderen Moment vielleicht weniger mutig, weil ich den Zuspruch nicht gehabt hätte? Wie viele Anteile meines Partners wohnen in mir?
Meine Freunde wohnen in mir. Sie inspirieren mich, sind meine Impulsgeber und meine Kritiker! Ihr Lachen hilft mir, auch über mich selber lachen zu können.
Selbst meine KollegInnen wohnen in mir. Sie sind mein Spiegel zu bestimmten Verhaltensweisen. Sie zeigen mir, wo ich klarer kommunizieren und mehr Geduld zeigen darf, und manchmal auch, wo ich mich selbst besser abgrenzen muss. Viele ihrer Haltungen und Worte klingen nach – mal als Anregung, mal als Reibungspunkt. Und so wachsen sie in mir weiter, werden zu kleinen Stimmen, die in bestimmten Situationen wieder auftauchen.
Frühere Begegnungen wohnen in mir – Lehrerinnen und Lehrer, mein früherer Chef, Nachbarn und Verwandte aus meiner Kindheit, vielleicht sogar ein flüchtiger Austausch mit einer Person im Zug oder beim Einkauf, der einen Gedanken in mir angestoßen hat.
Manchmal denke ich, dass ich wie ein Haus mit vielen Zimmern bin.
In manchen ist es hell und lebendig. Dort wohnen Menschen, die mir guttun. In anderen ist es vielleicht noch dunkel oder zu gestaubt – Räume, in denen alte Konflikte schlummern, ungelöste Themen oder Stimmen aus der Vergangenheit, die mir sagen wollten, wer ich zu sein habe.
Auch meine eigenen Anteile wohnen in mir.
Das Kind, das manchmal gesehen werden möchte,
die Zweiflerin, die alles infrage stellt,
die Mutige, die sagt: „Geh, mach das jetzt einfach.“
Sie alle leben in mir, sprechen mal lauter, mal leiser, manchmal auch gleichzeitig.
Es ist nicht immer leicht, herauszuhören, welche Stimme gerade aus mir selbst kommt und welche vielleicht übernommen ist.
Gleichzeitig bin ich jemand, die in anderen wohnt.
Meine Worte, meine Taten, mein Lächeln, vielleicht auch mein Schweigen – alles hinterlässt Spuren.
Und das erinnert mich daran, dass ich achtsam sein will mit dem, was ich weitergebe.
Wenn ich also in jemandem wohnen darf, dann will ich lieber ein heller Raum sein, ein Ort, der ermutigt und nicht kleinmacht.
Am Ende bleibt für mich diese einfache, aber tiefe Frage:
Wer wohnt in dir? Und wer möchtest du sein?
Je mehr man sich mit dieser Frage beschäftige, desto feiner wird das innere Gespür.
Wer spricht da gerade?
Sind es deine Eltern, die dir sagen wollen, wie du dich verhalten sollst?
Ist es dein Partner, dessen Sichtweise du schon fast automatisch übernommen hast?
Oder ist es vielleicht endlich deine eigene Stimme, die sich Raum nimmt?
Es ist ein Prozess, keine Abrechnung mit der Vergangenheit.
Wer darf bleiben?
Wer braucht vielleicht ein kleineres Zimmer?
Und welche Stimme muss vielleicht endlich ausziehen, weil sie dich daran hindert, dein Leben in Echtheit zu gestalten?
Wie bewusst gestaltest du dein inneres Haus?
Wer bekommt ein Zimmer mit Blick auf den Garten?
Und wen lässt du vielleicht viel zu oft durch deine Gedankenflure spazieren, obwohl die Stimme längst ausgedient hat?
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