Du hast mich freundlich angesehen

Autor: Simone Osteroth
Du hast mich freundlich angesehen

„Du hast mich freundlich angesehen“ – die Geschichte von Jakob und Esau (Gen. 33,10).
Durch einen Blick in das Gesicht des jeweils anderen Bruders findet eine Versöhnung statt. Ein Konflikt wird geschlossen.
Am 22.02.2025, fast 8 Jahre nach meiner ersten Israelreise, konnte ich es live erspüren.
„Du hast mich freundlich angesehen.“

Wir waren mit unserer Meditationslehrer-Gruppe in ein kleines Dorf nahe der Grenze zum Libanon zu einem aramäischen Gottesdienst eingeladen.

Überaus herzlich und mit leuchtenden Augen wurden wir empfangen.
„You are more than welcome!”, schallte es uns entgegen.

Der Gottesdienst  wurde überwiegend auf arabisch, teilweise auch auf aramäisch, gehalten. Beides Sprachen, die ich nicht verstehe.
So lud er ganz besonders zum Hineinspüren ein.

Mir wurde bewusst, dass ich für diese Einladung etwas zurückgeben kann, und zwar all meine Energie und gute Gedanken.
Also nutzte ich die Zeremonie, um mit meiner Energie eine Schwingung von Frieden und Dankbarkeit an diesen Ort zu senden. Wo auch immer sie ankommen mögen. Vielleicht bei jenen, deren Verstorbenen in diesem Gottesdienst gedacht wurde.

Nach dem Gottesdienst gingen die Gemeindemitglieder an uns vorbei und schenkten uns mit ihren Augen eine Wärme und ein Lächeln, das mein Herz erfüllte.

„Du hast mich freundlich angesehen“, hallte es in mir nach.

Im Anschluss an den Gottesdienst wurden wir mit Kaffee und Gebäck willkommen geheißen und es entstand das Gefühl, dass wir, wie selbstverständlich, in diesem Moment ein Teil der Gemeinde sind.
Willkommen und aufgenommen, wie Freunde.
Dankbarkeit durchströmte meinen Körper.

Und dann erzählte uns unser Gastgeber die Begebenheit des „gestohlenen Kelches“.
Ich lauschte ihr aufmerksam.

Vor vielen Jahren hatte ein Soldat, neben einigen anderen Gegenständen, auch einen Kelch aus dieser aramäischen Kirche gestohlen. Mit all seinem Diebesgut ging er zurück in seine Heimat, in die Nähe von Bielefeld. Im Laufe seines Lebens hatte der Soldat alle gestohlenen Wertsachen verscherbelt.
Bis auf den Kelch.
Sein letzter Wille war es, dass der Kelch wieder zurück in die wunderschöne Kirche, mitten im
Baram- Nationalpark, gebracht wird.

Und so geschah es.

Zum Ende der Geschichte sagte unser Gastgeber:
„Alles, was zu mir gehört, das kommt zurück. So wie dieser Kelch.“

WOW! Volltreffer! Genau das, was ich einen Tag zuvor gespürt hatte!

Mir lief eine Gänsehaut über den ganzen Körper und Tränen der Bestätigung stiegen in mir auf.

Jetzt war meine Geschichte, die 8 Jahre reifte, endlich rund!

Sie begann 2016, als ich im Garten Gethsemane vor einem Schild stand, auf dem ich folgendes las:

„Mein Vater, wenn es möglich ist, so lass diesen Kelch an mir vorübergehen.
Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“

Diese Sätze brachten mich durcheinander.
Nach einigen Schicksalsschlägen beschäftigten sie mich sehr.
So oft hatte ich gewollt, dass mein Leben gefälligst so sein soll, wie ich es will!
Wie kann ich es schaffen, mein Leben so anzunehmen, wie Gott es will?
Wie komme ich ins wahrhaftige Vertrauen, dass alles so kommt, wie es für mich bestimmt ist?

Acht Jahre später stand ich nun zum dritten Mal in Israel und hatte das Gefühl, dass etwas in mir nach Hause zurückgekommen ist.
Ich kann es nicht näher deuten oder erklären.
Es ist das Gefühl, dass ich selbst das Zuhause bin, egal, ob ich am See Genezareth, in Jerusalem oder in Castrop-Rauxel stehe.

Ich bin das Zuhause, unabhängig von Zeit und Ort!

Alles, was zu mir gehört, kommt zu mir zurück!
Also nicht: Lass den Kelch an mir vorüberziehen,
sondern: Lass den Kelch zu mir zurückkommen!

Lass das, was zu mir gehört, zurückkommen.
Lass das, was für mich bestimmt ist, zu mir zurückkommen.

In diesem Moment konnte ich mit allem, was war, und mit allem, was kommen wird, meinen Frieden schließen.

Lass den Kelch zu mir zurückkommen, so wie du es willst.

Ich trat aus der Kirche hinaus und sah in viele strahlende Augen.

„Du hast mich freundlich angesehen.“

Danke für dieses großartige Friedensgeschenk.

 

Bildquelle: Foto der Autorin / 2025

Simone Osteroth

Simone Osteroth

simone-osteroth.de

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