Vom Mut, ein Narr zu sein

Autor: Andrea und Volker Siegert

Es war Freitag, der 22. September, Herbstbeginn. An diesem Morgen stand ich früh auf. Ich wollte gegen 5 Uhr in der Firma sein. Wie an jedem Morgen, auf meinem Weg zur Arbeit, schaute ich in den Himmel. An diesem Tag lag ein besonders schöner Sternenhimmel über mir. Es hatte den Anschein, dass jeder Stern von einem Strahlenkranz umgeben war. Ich bedankte mich im Stillen für dieses Geschenk.

Der junge Kollege, der auch immer um diese Uhrzeit in den Betrieb kam, sah mich im Dunkeln und nahm mich in seinem Auto bis zur Betriebsstätte mit. Wir flachsten ein wenig herum. Finaltag der Woche: Freitag! Nur noch 11 Stunden arbeiten, dann ist Wochenende. Wir gingen beide unserer Tätigkeit nach, der Tag fing gut an, was könnte denn noch geschehen?

 

Das Leben geschieht

Und dann geschah es. Wie immer fragt das Leben nicht, ob ich das will, ob es mir recht ist. Nein, es geschieht einfach. Ich erhielt einen Anruf, der meine Stimmung umschlagen ließ. „Volker, kannst du mal kommen, mir wird ganz schwarz vor Augen.“ Nur dieser eine Satz des jungen Kollegen, der mich morgens noch in seinem Auto mitgenommen hat. Dann war es still. „Will der mich verschaukeln?“, schoss es mir durch den Kopf. Wir hatten doch vor kurzer Zeit noch herum geflachst. Trotzdem machte ich mich auf den Weg zu seinem Arbeitsplatz. Dort lag er, fast bewusstlos, auf dem Boden.

Auf meine Frage, was geschehen sei, antwortete er, dass sein linker Arm taub sei und er starke Schmerzen und schreckliche Angst hätte.

In der Zwischenzeit waren weitere Kollegen dazugekommen. Den ersten bat ich, für einen kurzen Moment auf den Betroffenen aufzupassen. In solchen Fällen gilt es eine Kette von Maßnahmen zu ergreifen, die wie ein Uhrwerk funktionieren müssen. Notarzt anrufen, Vorgang schildern, Produktion anhalten und sich anschließend wieder um den Betroffenen kümmern, dem es in der Zwischenzeit nicht besser ging. Er klagte immer noch über das Herzrasen und den tauben Arm. Außerdem machte er sich große Sorgen um seine Familie, besonders um seinen gerade geborenen Sohn.

In der Zwischenzeit hatte sich die gesamte Produktionsmannschaft um uns herum versammelt.

 

Mut zum Handeln

Bis zu diesem Tag hatte ich niemandem in der Firma erzählt, dass ich mich mit Reiki und Meditation beschäftige. Als Vorgesetzter war in mir die Angst präsent bei einem „Outing“ als spinnertes Weichei wahrgenommen und somit als Führungskraft nicht akzeptiert zu werden.

All das warf ich in diesem Moment über Bord. Ich kniete mich neben meinen Kollegen und sagte: „Habe keine Angst, habe Vertrauen, es ist alles gut. Denk an etwas, für das es sich lohnt, weiterzumachen. Und jetzt, lege ich dir die Hand auf, es wird alles gut, das verspreche ich dir.“  Sein Nicken zeigte mir, dass es OK war und er bereit war, sich in meine Hände zu begeben. Er vertraute mir.

Vorsichtig legte ich ihm meine Hände auf seinen Körper und spürte sein rasendes Herz. Ich spürte seine Angst. Ich weiß nicht, wie lange wir in dieser Position verharrten.

Die Zeit schien stehengeblieben zu sein.

Ich spürte, dass sein Herzrasen nachließ und das Kribbeln in seinem Arm schwächer wurde. Er wurde ruhiger. Dann schlug er die Augen auf und sagte: „Ich glaube, es geht mir wieder gut. Es schmerzt nicht mehr und die Angst hat aufgehört.“

Aus dem Nichts tauchten plötzlich die Sanitäter auf, die ich angefordert hatte. Da machte ich mir schon wieder Gedanken:  „Jetzt hast du den Notarzt bestellt und der Kollege ist in der Zwischenzeit wieder OK. Was denken die anderen jetzt von dir?“

Ich begleitete den Betroffenen zum Rettungswagen, in dem er untersucht wurde. Ich wartete am Fahrzeug. Auch das ist Teil des Reglements, das in solchen Fällen reibungslos ablaufen muss.

Endlich ging die Tür auf und mein Kollege stieg mit einem Lächeln aus dem Rettungswagen. „Die haben nichts festgestellt. Ich bin organisch gesund und möchte zu meinem Hausarzt.“

 

Was zählt

Am Abend rief mich mein junger Kollege an und fragte, was an diesem Morgen geschehen war. Ich erzählte ihm von meiner Arbeit als Reiki- und Meditationslehrer. Wie erfüllend sie für mich geworden ist und dass uns das Leben immer wieder vor Herausforderungen stellt. Manchmal einen „Tacken“ mehr, wie an diesem Morgen. Ich sagte, dass man nicht verschwindet, wenn es ernst wird. Vertrauen in das Leben und die Hoffnung auf die Unendlichkeit des Lebens sind dabei der Motor. Sich darauf einlassen, das ist der Schlüssel dafür.

An diesem Tag hatte ich einen neuen Teilnehmer für unsere Meditationsabende gewonnen.

Es gibt Dinge, die man einfach tun muss. Notfalls auch über den eigenen Schatten springen. Hab den Mut, ein Narr zu sein.

Andrea und Volker Siegert

Andrea und Volker Siegert

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