Versteh mich doch bitte

Autor: Anita Dorp AMANI (mit Marko im Herzen)

Die Sehnsucht nach Verständnis

Wenn ich zurückblicke, war ein großes Problem für mich, dass ich mich nicht verstanden gefühlt habe. „Er oder sie versteht mich nicht.“ Ich bin oft daran verzweifelt, es hat mich zeitweise wütend gemacht, mich zum Weinen gebracht und mich einsam fühlen lassen.

Den Impuls gab mir eine liebe Freundin, als sie neulich sagte: „Ich fühle mich nicht verstanden.“ – Verdammt dachte ich, mein Thema….

Der Wunsch, verstanden zu werden, ist vielen enorm wichtig. Dabei vergessen sie einiges:
Jemand, der deinen Schmerz, deine Erkrankung, dein Leid nicht selbst auch erlebt hat, kann dich nicht verstehen. Er kann vielleicht im Inneren eine Angst empfinden, dies nicht selbst erleben zu wollen. Mag vielleicht denken: „Oh Gott, lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Lass mich das bitte nicht erleben, wie XY leidet, durch ihren Schicksalsschlag.“
Vielleicht ausgelöst durch eine schwere Krankheit, den Verlust eines Kindes oder eines anderen wichtigen Menschen, einer Trennung oder Existenzängste und Gewalterfahrungen infolge von Krieg oder Missbrauch, einer dir nahestehenden Person.

 

Resilienz und individuelle Bewältigung

Sogar Gleichgesinnte, selbst Betroffene können nur das Verstehen, was sie selbst erlebt haben, oder sie bewerten nach ihrem eigenen Empfinden. Sie haben dann nur Tipps und Ratschläge, wie sie selbst damit umgehen. Dabei fehlt oftmals die Akzeptanz, dass jeder anders trauert, leidet oder fühlt. Jedes Schicksal ist einzigartig und individuell, wie jeder Mensch.

Die Resilienz,
der eigene Umgang,
und die innere Stärke
spielen dabei auch noch eine entscheidende Rolle.

Manche haben schon so viel Schlimmes erlebt, dass das Fass überläuft, selbst bei scheinbaren Kleinigkeiten.

In meiner Trauer um mein Kind, mein einziges Kind, habe ich mich unverstanden gefühlt und mich selbst dabei erwischt, dass ich mein Handeln und Trauern immer versucht habe, anderen zu erklären.
Warum ich so oder so handel,
Warum ich nicht unter Menschen gehen kann.
Warum ich mich nicht lange konzentrieren kann
und manche Dinge nicht bewerkstelligen kann.
Warum Feiertage immer noch so schmerzvoll sind.

 

Bullshit und unnötig! Die Energie kann ich mir sparen.

Es geht gar nicht um das „Verstehen“.
Verstehen ist eine reine Kopfsache.
Verstehen ist, wie eine bestimmte Sprache sprechen.
Stell dir vor, ich spreche Spanisch, und der, der spanisch kann, wird mich verstehen.
Ja, vielleicht versteht derjenige die gesprochene Sprache.
Jedoch nicht unbedingt den Inhalt des Gesagten, nicht unbedingt, was ich wirklich dabei empfinde.

Viel wichtiger sind Menschen, die dich sehen, hören und fühlen.
Die dich beachten, dir zuhören und mitfühlend sind. Die dich annehmen, so wie du gerade fühlst.
Die dir das Gefühl geben, so wie du gerade bist, bist du in Ordnung.
Die deine momentane Stimmung nicht versuchen zu ändern, sondern folgende Worte sagen:
„Ich sehe, wie schwer es dir fällt …
Ich höre in deiner Stimme, dass es dich traurig, ängstlich oder wütend macht.
Ich fühle, wie sehr du leidest / trauerst.“

„Verstehen“ jedoch, heißt, ich höre mir deine Erzählung zwar an, aber bewerte nach meinen
Glaubenssätzen oder Erwartungen.

Manche sagen auch:
„Ich verstehe einfach nicht, warum sie / er so trauert / leidet …“
Das ist Bewertung.

Bewertung und Zensur ist das Gegenteil von Akzeptanz und Toleranz.
Bewertung und Zensur kommen aus dem Kopf,
Akzeptanz und Toleranz aus dem Herzen.


Aus dem Kopf raus und rein ins Herz. Nicht Denken, sondern Fühlen.

Für wen empfindest du momentan Mitgefühl? Für welchen Menschen oder welches Tier möchtest du gerade da sein?

Und wenn du dich jetzt selbst einbeziehst, für dich selbst da sein möchtest, dich „hörst“, „fühlst
und „siehst“, dann wirst du nie wieder erwarten, dass dich jemand versteht.
Du wirst Menschen anziehen und spüren, die dich nehmen so wie du bist.

Ich wünsche dir einen Ort, an dem du dich wohlfühlst
eine Heimat, ein Zuhause.
Wo niemand fragt, wer du bist oder was du leistest.
Sondern einfach nur froh ist, dass du da bist.
Ja, so einen Ort und solche Menschen wünsche ich dir.

Danke an meinen geliebten Mann Bruno und vielen anderen, mir sehr wichtigen Menschen, dass
ich diesen Ort in mir finden konnte.

 

Aufhebung – Ein Gedicht von Erich Fried

Sein Unglück
ausatmen können

tief ausatmen, sodass man wieder einatmen kann
Und vielleicht auch sein Unglück
sagen können in Worten
in wirklichen Worten,

die zusammenhängen
und Sinn haben
und die man selbst noch
verstehen kann
und die vielleicht sogar
irgendwer sonst versteht
oder verstehen könnte
Und weinen können

Das wäre schon fast wieder Glück


Bildnachweis: von Anita Dorp AMANI, 2023

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