Gleich und Ungleich ist Dasselbe

Autor: Viola Denda

Auch wenn Vieles auf den ersten Blick ungleich oder getrennt erscheint, so ist es doch im Grunde verbunden und eins. So sind auch ich und du mit anderen Wesen und Allem-Was-Ist verbunden. Trennung ist eine Illusion.

Ursache und Wirkung

Früher war ich beeindruckt von Menschen, die weit herumkamen. Leute, die in Nepal waren oder sich eine Auszeit genommen hatten und um die Welt gereist sind. Ich fand sie richtig cool, die Globetrotter und Lebenskünstler. Mussten sie doch frei sein und selbstbestimmt, ein größeres Wissen als ich angesammelt oder sogar auf all ihren Reisen in die Ferne Erleuchtung erfahren haben. Als Kind, so war einer meiner Pläne, würde ich irgendwann einmal nach Afrika gehen, um dort den Ärmsten aller Armen zu dienen – vor allem den Kindern – zu helfen. Ich, so war klar, wollte Gutes tun.

All die Probleme der Menschen mit sich selbst und ihrem Gegenüber faszinierten mich. Als junge Frau während des Studiums der Erziehungswissenschaft wollte ich dann ein Projekt für Obdachlose anbieten. Die Arbeit mit jugendlichen Gruppen bspw. erschien mir im Vergleich dazu langweilig. Es faszinierten mich die Grenzgänger und vor allem die Psychologie. Themen wie Suchtprävention, Trauerarbeit, Okkultismus in der Jugendkultur und ähnliches weckten mein Interesse. Für mich mussten es schon die krassen, polarisierenden Bereiche, die tiefsten Gefühle der Menschen betroffen sein, alles andere fand ich thematisch nicht so reizvoll, dass ich mich damit hätte näher befassen wollen.

Mir sollte niemand etwas vormachen. Ich wollte Meisterin der Menschenkenntnis sein. Unberührbar, weise, allwissend –  über allem stehend. Ein Unterfangen, was zum Scheitern prädestiniert war (weil es mich als Menschenkind nur überfordern konnte).

Warum das alles? Später reflektierte ich. Ich wollte mir damals wohl selbst beweisen, dass ich es kann, kein Abgrund mir zu tief ist! Dass ich stark genug bin, um den Herausforderungen des Lebens die Stirn zu bieten! Oder sogar stärker, mächtiger als die Probleme selbst, denn ich wusste schon immer: Alles hat seinen Grund – niemand ist von Grund auf mit schlechter Absicht unterwegs. Ursache und Wirkung stehen in wiederkehrendem Zusammenhang. Ich wollte den Ursprung von allem heraus finden und damit das Übel an der Wurzel fassen.
Und die anderen wollte ich beeindrucken und damit auch mich selbst. Da musste es schon ein Einsatz in Afrika oder sonst wo am Ende der Welt sein. Dazu jedoch kam es aber nicht mehr (jedenfalls bis jetzt).

‌Oft suchen wir die Aufmerksamkeit anderer, um uns in unserem Wert bestätigt zu sehen. Und viele lassen sich durch außergewöhnliche Lebensgeschichten oder Äußerlichkeiten beeindrucken. (Oder auch durch gute Noten, Geld bzw. materiellem Hab und Gut.)
Mir ist im Laufe meines Lebens klar geworden, dass derjenige, der in Afrika oder in Indien seine Erfüllung sucht -indem er zu sich findet oder etwas für seinen Nächsten tut – nicht besser, cooler, erleuchteter ist als der, der sich in nächster Nähe (z.B. in Gladbeck-Brauck oder Herne-Wanne, Berlin) für einen Mitmenschen ein- bzw. sich mit sich selbst auseinandersetzt. Jeder nach seiner Facon, seiner Vorstellung – so wie er mag und seine Aufgabe findet – egal wo!
Und wenn es nur ein freundliches Wort an einen Fremden oder eine helfende Hand für die Rentnerin in der Wohnung nebenan ist.

‌Ein magischer Moment

Im letzten Sommer, da stand ich an der “Western Wall”, der “Klagemauer” in Jerusalem. Ich war guter Dinge, hatte gute Wünsche in meinem Kopf. Dinge, die mich beschäftigten, Gedanken, die meinen Geist füllten. Nach kurzer Zeit des Wartens – hinter all den Frauen vor mir – stand ich plötzlich unerwartet schnell und problemlos in der ersten Reihe.
Kein Gezeter, kein Gehacke unter den Wartenden verschiedenster Herkunft und religiösem Hintergrund. Es war ein friedliches, faires “Der-Reihe-nach-Durchlassen”…

Da war ich nun: an der uralten, erinnerungsschweren Mauer, die für mich unendlich hoch in den Himmel zu reichen schien. Ich drückte meinen Leib an die Wand, legte beide Arme und eine Hälfte meines Gesichtes an die alte Steinerne – wie in sie hineinhorchend.

Was für ein magischer Moment. Plötzlich konnte ich spüren, was die Alte alles in sich trug – ich fühlte das Leid der Weiber um mich herum, die Sehnsüchte und Wünsche der Menschen, die diese -in all den vielen Jahren – durch ihr Beten, Klagen und die Berührung abgegeben und auf das Gestein übertragen hatten. Mir kamen die Tränen und ich zitterte, so bewegt war ich.
Mit den Tränen kam mir die Erkenntnis, dass doch im Grunde alle Menschen, ob Groß oder Klein, Alt oder Jung während ihres Seins auf dieser Erde ähnliche Sehnsüchte, Wünsche, Sorgen und Nöte haben. Eine Weile blieb ich, so verharrend, eins-werdend mit der Mauer und allem um mich herum, stehen. Dann gab ich den Platz für die Nach-mir-Kommende wieder frei und ließ mich auf einem der freien Stühle, einige Meter von der Western Wall entfernt, nieder und kam wieder im Hier und Jetzt an.

Du und ich sind eins

Auch ich bin nicht besser und nicht schlechter als die anderen. Ich bin anders, ich bin einzigartig, ich bin ich. Ich bin (wie) die anderen und doch einzig und genug. Ein Teil des Universums. Dort hängt alles zusammen. Jäger und Gejagte sind eins.

Du und ich sind eins. Du bist nicht besser und nicht schlechter als ich, nur anders. Führe dir das einmal vor Augen, vergegenwärtige! Wenn dir das klar geworden ist, können dich dann andere noch beeindrucken?
Ich sage ja, ich bin beeindruckt von der Schönheit und Individualität jedes einzelnen Wesens, aber nein – ich lass’ mich nicht mehr beeindrucken von denen, die meinen schlauer, wichtiger, wohlhabender, größer, besser, stärker oder weiser zu sein als ich.

Jeder hat seine Geschichte, sein Leid und seine Erfahrung, Erlebnisse, einzigartige Freude und Ausstrahlung. Wie wundervoll. Dem gebührt Achtung und Wertschätzung. Ohne Bedingung. Denn so verbunden bereichert der andere auch mich, denn wir sind ja im Grunde eins. Ich bin reich beschenkt.
Was ich dem anderen (an) tue, (be) trifft auch mich. Im “Guten” wie im “Schlechten” (wie oder von wem auch immer das definiert wird).

Die Weisheit liegt in jedem selbst! Im Umgang mit den eigenen Erlebnissen, Begegnungen und Herausforderungen des Lebens und dessen einzigartiger Geschichte. Niemand anderes kann für uns Weisheit erlangen. Niemand kann wissen, was für dich das Beste ist. Auch kein selbsternannter Guru bei YouTube. Sei dein eigener Meister, deine Meisterin.

Warum fangen wir nicht hier und jetzt und heute an, etwas für den Nächsten zu tun? Mit einer hilfsbereiten Geste, einem Lächeln, einer Umarmung, einem offenen Ohr?
Weil wir gerne Ausreden suchen oder weil wir immer noch glauben, diese “Kleinigkeiten” seien nicht genug. Aber bereits Mutter Teresa sagte: “Nicht alle von uns können große Dinge schaffen. Aber wir können im Kleinen mit großer Liebe wirken!” Und ist das nicht, worauf es ankommt?

Lasst es uns tun. Heute. Hier. Jetzt. In Verbindung kommen, in Verbindung sein. In Verbindung bleiben. Und damit die Grenzen auflösen. In der Verbundenheit mit anderen die Verbindung zu sich selbst wiederfinden.

Denn es gibt keine echte Trennung. Wir sind ungleich und doch im Grunde gleich. WIR – SIND EINS.

Bildnachweis: Free People On foot/Free photo on Pixabay

Keine Beiträge mehr verpassen