Als unser Sohn damals in der 2. Klasse der Grundschule, eine seiner ersten zensierten Klassenarbeiten mit nach Hause brachte und er wegen eines Fehlers eine 2 („gut“) bekam, sagte ich ihm, dass, wenn er diesen Fehler nicht gemacht hätte, die Arbeit perfekt gewesen wäre. Seine spontane Antwort darauf: „Mama, wer will schon perfekt sein!?“ Ich war ziemlich perplex und hatte darauf auch keine Antwort. Für mich aber war dieser Satz entscheidend, um mich nicht zu sehr in sein Schulleben einzumischen. Es sei denn, er kam auf mich zu oder die Situation erforderte es. Aber was das Lernen für die verschiedenen Fächer anging, hielt ich mich raus. Ich biss mir auf die Zunge und schwieg, wenn mir das Zeugnis nicht gefiel. Bewundernd betrachtete ich meinen Mann, der lediglich Sven, unseren Sohn, fragte, ob er mit dem Ergebnis zufrieden sei (was dieser meistens bejahte). Sven wusste also schon damals, dass ihm Mittelmaß reicht, um glücklich zu sein!
Wann ist etwas perfekt?
Eine Woche ist es jetzt her, dass ich meinen Urlaub beendet habe. Ich war auf einer Insel in Dänemark. Der Urlaub begann schon auf der Fähre: Keine Hektik beim Fahren auf die Fähre (das waren wir vom Sylt-Shuttle anders gewohnt), Freundliche Mitarbeiter, die uns den Weg lotsten. Überhaupt wurde man überall auf der Insel mit einem freundlichen „Hey!“ begrüßt. Das Wetter war nicht so, dass man sich den ganzen Tag am Strand aalen wollte, aber wir waren jeden Tag im Wasser und der Wind, der die Wellen toben ließ, schob auch immer mal wieder die Wolken weg, sodass wir von der Sonne überrascht wurden. Nach der Woche auf dieser Insel, wollte ich gleich wieder für das nächste Jahr buchen. Aber eigentlich plante ich doch mal etwas Besonderes, etwas Perfektes: Dorthin reisen, wo die Sonne immer scheint und man von der Kultur und den Menschen überrascht wird, eine Reise, von der man erzählen kann!! Doch ich habe mich für Dänemark entschieden! Nicht für den perfekten Urlaub, sondern für den Urlaub, der optimal für mich ist! (- und das perfekte Wetter gibt es sowieso nicht!)
Auch mal „Fünfe gerade sein lassen“
Vor ein paar Tagen saß ich mit ein paar Freunden zusammen. Wir sprachen über einen Zeitungsartikel, den einer von uns gelesen hatte. „Ein Hoch auf das Mittelmaß!“ Wir fingen an, über das Mittelmaß zu diskutieren. Einige hatten sofort negative Assoziationen zu dem Wort. Erinnerten sich daran, dass sie als Schüler z. B. nicht zum Mittelmaß gehören wollten. Es war sehr strebsam, zu den Besseren zu gehören. Mittelmaß klingt nach verpassten Chancen, fehlendem Antrieb und Faulheit. Das wiederum erzeugt Druck. Druck, möglichst erfolgreich zu sein, nicht nur im Beruf, sondern auch in der Freizeit. Wie kann man seinen Urlaub einfach nur auf der Couch verbringen, wenn man in den sozialen Medien sieht, wie andere in Portugal surfen gehen?
Sich daran zu erinnern, dass Mittelmaß nichts Schlechtes ist, hilft, weniger Druck zu empfinden. Weniger nach dem Perfekten als nach dem Optimum streben. Das Optimale ist einer Situation angemessen. Es soll einem selbst und der Umwelt dabei gut gehen. Die Mitte zu finden, bedeutet auch mal fünf gerade sein zu lassen. Wir lassen uns für unsere Aufgaben Zeit und geben uns Raum für Fehler.
Aber dieses Mittelmaß erfordert auch Disziplin: Es ist eine ständige Herausforderung für mich, mich daran zu erinnern, die Dinge nicht zu eng zu betrachten. Es ist wichtig, gelegentlich die Kontrolle loszulassen. Wenn der Drang aufkommt, etwas unbedingt erreichen oder besitzen zu wollen, halte ich inne und frage mich selbst, ob dies tatsächlich zu meinem Glück beiträgt. Es ist mir ein Anliegen, diese Frage ehrlich zu beantworten!