„Deine Kinder sind nicht deine Kinder.
Sie sind die Söhne und die Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst. Sie kommen durch dich, aber nicht von dir, und obwohl sie bei dir sind, gehören sie dir nicht.
Du kannst ihnen deine Liebe geben, aber nicht deine Gedanken,
denn sie haben ihre eigenen Gedanken.
Du kannst ihrem Körper ein Heim geben, aber nicht ihrer Seele,
denn die Seele wohnt im Haus von morgen, das du nicht besuchen kannst, nicht einmal in deinen Träumen.
Du kannst versuchen, ihnen gleich zu sein, aber such nicht,
sie dir gleich zu machen. Denn das Leben geht nicht rückwärts und verweilt nicht beim Gestern.
Du bist der Bogen, von dem deine Kinder als Pfeile ausgeschickt werden.
Lass deine Bogenrundung in der Hand des Schützen Freude bedeuten.“
(Kahlil Gibran)
Von der Sehnsucht
Ein Spruch, der mich schon seit meiner Jugend begleitet. Nur heute, mehr als 40 Jahre später, hat er für mich eine völlig andere Bedeutung, als er es damals hatte. Als ich etwa 14 Jahre alt war, hing dieser Spruch (neben anderen Sprüchen) an meinem Schrank. Gut sichtbar für meine Eltern, besonders für meinen Vater, der sehr streng war und uns Kinder vor allem Schlechten in der Welt beschützen wollte.
Wir hatten keine Chance, zu sein wer wir sind und uns zu entwickeln, wie es unser Recht gewesen wäre. Für mich war es damals eine Art Hilferuf, ein Ruf nach mehr Freiheit, nach mehr Akzeptanz und danach geliebt zu werden, so wie ich bin, als Mädchen mit all meinen Facetten. Ich hatte absolute Sehnsucht nach mir selbst.
Meine Eltern haben diese Botschaft nicht verstanden. Und heute als Mutter von zwei tollen Kindern verstehe ich, warum sie es damals nicht verstehen konnten. Alles ändert sich, wenn du selber Mutter und Vater wirst. Da ist plötzlich ein so kleiner Mensch, so unschuldig und vollkommen auf dich angewiesen. Du willst ihn behüten und beschützen. Ihm soll nichts Schlimmes geschehen. Du willst ihm all deine Liebe geben und ihm einen Weg ebnen, der es ihm ermöglicht, ein schönes, sorgenfreies Leben zu führen.
Meine Kinder – meine Geschenke
Meine Entscheidung, Kinder haben zu wollen, war eine ganz bewusste. Und dennoch frage ich mich heute, warum wollte ich es eigentlich wirklich?
Aus Egoismus? Weil es zum Bild einer Familie dazu gehört? Wollte ich, dass sie meinem Leben einen Sinn geben, dass sie mein Leben bereichern? Wollte ich, dass sie mir Enkelkinder schenken, damit ich später keiner Langeweile habe? Oder wollte ich, dass sie sich im Alter um mich kümmern?
Für mich war aber immer klar, dass meine Kinder von mir geliebt werden, ohne dass Bedingungen daran geknüpft sind. Ich wollte sie so akzeptieren wie sie sind und sie darin unterstützen, eine starke Persönlichkeit zu werden. Natürlich habe ich sie mit meinem Gedankengut gefüttert, mit meiner Einstellung zum Leben, habe ihnen erzählt, was funktioniert und was nicht funktioniert hat bei mir. Ich habe ihnen einen Weg geebnet, den sie nun gehen dürfen. Und den gehen sie auch und das auf eine sehr unterschiedliche Art und Weise.
Meine Tochter hat viele Jahre studiert und arbeitet für ein großes Unternehmen. Sie lebt zwar in Dänemark aber ich habe die Möglichkeit, sie zu besuchen und mit ihr zu telefonieren, wenn mir danach ist.
Mein Sohn hat sich für einen komplett anderen Weg entschieden. Er lebt zur Zeit in Kenia, wo er sich auf ein Leben als Mönch vorbereitet. Als solcher möchte er ohne Besitz leben und sich in den Dienst der Menschen stellen, um auf diese Weise Gutes bewirken. Für mich als Mutter bedeutet es, dass ich ihn weder regelmäßig sehen noch hören kann. Seine Vorbereitung aufs „Mönchsleben“ hat zur Folge, dass der Kontakt zu allem, was vorher zu seinem Leben gehört hat, derzeit auf Null gesetzt ist.
Vom Leben
Ich kann verstehen, warum es geschieht und dennoch fällt es mir schwer, zu akzeptieren, dass mein Sohn für mich nicht mehr erreichbar ist und ich absolut keinen Einfluss mehr habe. Ich habe ihm zwar das Leben geschenkt. Was er daraus macht, ist seine Sache. Ich weiß, dass er endlich dort ist, wo er sein möchte, um das zu tun, was ihn erfüllt und was ihn glücklich macht. Das wiederum macht mich glücklich und der Schmerz über die Trennung tritt in den Hintergrund. Und eigentlich weiß ich auch, dass es keine Trennung gibt, dass alles zu jeder Zeit mit allem verbunden ist. Das tröstet mein Mutterherz.
Vom Vertrauen: das höchste Ziel ist die Freude
Kinder bedeuten Vertrauen ins Leben, Kinder bedeuten Zukunft, eine Zukunft, die sie selber gestalten. Jede Generation trägt eine Chance in sich, etwas Neues, etwas Anderes zu machen und etwas besser zu machen als die Vorherige. Mein Lehrer Peter würde sagen: „Haltet euch an die Kinder, das sind die Friedensstifter.“ Und ich bin überzeugt davon, dass mein Sohn und meine Tochter, und zwar jeder auf seine Art, solche Friedensstifter sind.
Ich habe meinen Bogen gespannt und zwei Pfeile in die Welt geschossen und das mit großer Freude!
Bildnachweis für diesen Beitrag: zwei-personen-die-auf-grasfeld-gehen-551578 © Kat Smith (pexels CC-0)