Das Pfauenauge

Autor: Antje Heinrich
Pfauenauge

Am Tag, als mein Vater 2017 starb, schrieb ich diese Zeilen:

Die Welt soll kurz aufhören sich zu drehen,
ganz still soll sie stehen!
Erst will ich weinen, schreien, klagen,
dann sie darf weiter drehen, sich wagen.

Dein Sein bei uns zu Ende ist,
in meinem Leben du bei mir bist,
beginnst an einem anderen Ort,
und ich, ich lebe hier noch fort.

Denken werde ich oft an dich
und zünde an ein warmes Licht,
so lasse ich dich jetzt nun gehen,
und freu mich auf das Wiedersehen.

Als wir einige Tage später, es war der Geburtstag meines Vaters, ihn beisetzten und so tief unglücklich in unserer Trauer dastanden, kam ein Pfauenauge.

Ich hatte ihn schon zuvor, etwas hinter der Grabstelle in einem Busch, gesehen und war erstaunt, wie ruhig er da saß. Als ob er uns beobachten würde.

Und dann kam er angeflogen, nahm auf jedem von uns einmal kurz Platz, flog so seine Runde und kehrte schließlich, nachdem er uns alle einmal besucht hatte, auf seinen Platz im Busch zurück. Dort blieb er sitzen, bis wir das Loch, in welchem die Urne meines Vaters nun liegt, mit Sand und Erde wieder gefüllt und das Grab mit Blumen geschmückt hatten. Seitdem denke ich, wenn mir ein Pfauenauge begegnet, dass mein Vater mich besuchen kommt.

Bei der Beerdigung meiner Oma Mathilde war es ein Rotkehlchen, welches die gesamte Zeit über bei uns blieb.

Seitdem begrüßt meine Mutter jedes Rotkelchen, das zum Futtern in ihren Garten kommt, mit Worten wie:

„Hallo Mathilde, schön, dass du mich besuchen kommst.“

Und manchmal ermahnt sie ihre Mutter, mit einem verschmitzten Gesichtsausdruck:

„Sei nicht so verfressen.“

Ich habe von einigen Menschen ganz ähnliche Geschichten gehört. Sie alle erzählen von trostspendenden Begegnungen in Momenten tiefster Trauer.

Und jede dieser Geschichten zeigt mir immer wieder, dass das Leben nie zu Ende geht, es lediglich seine Form verändert oder seinen Aufenthaltsort wechselt.

Für mich ist das ein beruhigender Gedanke, da er ein Wiedersehen verheißt, die Trauer erträglicher macht und mich achtsamer jedem Leben gegenüber werden lässt.

 

Quellen:

Das Bild stammt aus dem familiären Archiv von Antje Heinrich (c 2017)

Die externe Verlinkung verweist auf die folgende Internetseite:
Pfauenauge | Pfauenaugenhof (letzter Zugriff am 4.4.2023)

Antje Heinrich

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