Zeit zu leben

Autor: Tanja Nößler

Für viele bedeutet es zu leben, die Lebenszeit mit den ihnen bekannten sinnvollen Aufgaben auszufüllen. Ständig in Bewegung oder online zu sein und keinen Stillstand zu erleben. Da liegt man beispielsweise an einem wunderschönen Strand und hat doch nur sein Smartphone im Auge und Anschlag. Langeweile zu empfinden, ist heutzutage wie einer Todsünde nachzugehen, immerhin muss man ständig etwas zu tun haben oder erreichbar sein. Mit den Smartphones und den Smartwatches ist es auch kein Problem, sich dauernd zu irgendeinem Thema zu informieren und unsere Präsenz im Leben anderer ist allgegenwärtig.

Das ist eine Entwicklung, die seit einigen Jahren in dem Alltag vieler Menschen, Einzug gehalten hat. Und ich sage ganz offen: „Wehe, dass mir jemand mein Smartphone entwendet, denn da scheint auch für mich schlichtweg mein Leben drin zu sein.“

Aber ich persönlich sehne mich nach einer Phase der Langeweile und Muße. Leider ist es ein rares und kostbares Gut geworden, Langeweile empfinden zu dürfen. Denn in meinem Leben und Alltag gibt es immer etwas zu regeln, managen oder zu erledigen. Eine Zeit des Nichts-wollens und Nichts-tuns gib es nur noch selten.

 

Langeweile oder Nichts-tun aushalten

Auch wenn das Wort der Langeweile im allgemeinen Sprachgebrauch negativ behaftet ist, denn es sei ein unangenehmes Gefühl einer befriedigten Tätigkeit nachgehen zu wollen, es aber nicht zu können. So ist es doch ein lebensnotwendiger und lehrreicher Prozess im Leben eines Menschen. Heute weiß man, dass Kinder, die es nicht schaffen, Langeweile auszuhalten, später auch nicht in der Lage sind, eine gewisse Kreativität und Selbstbewusstsein in ihrem Leben zu entwickeln. Fehlt dieser Prozess, so fehlt der Jugend ein wesentlicher Baustein in ihrem eigenen ganz persönlichen Entwicklungsprozess. Ein Prozess, der über das Lebensglück und der tiefen inneren Zufriedenheit entscheiden kann. Wenn sich Kinder langweilen, dann fangen sie an zu sinnieren, zu malen, zu singen oder sich spielerisch zu verkleiden und das ist eine sehr wertvolle Zeit im Leben eines Kindes.

Wer es gelernt hat, Langeweile zu leben, der oder die hat es auch gelernt, über den eigenen seelischen Zustand innezuhalten und zu reflektieren, wie sich dieser Zustand aus der Vergangenheit und Gegenwart auf das derzeitige Empfinden und die Zukunft auswirkt. Und das ist eine wertvolle Lebenszeit.

Die Frage ist und bleibt für viele Menschen der Sinn und Zweck ihrer Existenz. Zahlreiche Menschen folgen im Außen materiellen Werten oder glänzen mit beruflichem Erfolg. Sie verpassen womöglich die Gelegenheit der Menschlichkeit und der Tiefe in Beziehungen. Verpassen vielleicht auch die Gelegenheit, der Güte und Besonnenheit zu begegnen. Stattdessen werden sie scheinbar von der Weltlichkeit verschluckt und irgendwann wieder ausgespuckt. Und das spätestens dann, wenn das Leben sich dem Ende zuneigt.

 

Was bleibt ist der Schatz im Herzen

Es heißt, dass man keine Schätze auf der Erde sammeln soll, wo Motten sie zerfressen und Diebe sie stehlen können. Denn da, wo der Schatz ist, ist auch das Herz. Dabei ist nichts verkehrt daran, an Erfolg und Gegenständlicheren Freude zu haben. Vielleicht kommt es einfach auf das Maß der Dinge an. Eben ein Mensch zu sein, der seinen Schatz im Herzen trägt und Freundlichkeit lebt. Der sich Zeit nimmt, um einen anderen Menschen zu sehen und zuzuhören, der Zeit verschenkt und Mitgefühl empfinden lernt. Und das geht auch, wenn man eine Rolex am Handgelenk trägt.

Im Leben ist es so, wie beim Monopoly Spiel – du erringst alle Monopole im Außen, Häuser und Vermögen. Aber am Ende des Spiels, ist die ALLES lehrende Lektion immer die Gleiche – denn es muss alles wieder zurück in die Kiste! Nichts von dem äußeren Errungenem bleibt.

Was bleibt, das sind die Werte der Liebe und Güte, der Besonnenheit und Wertschätzung des eigenen Lebens und des Lebens anderer. Die Zeit sich zu reflektieren und sich das Leben in allen Facetten bewusst zu machen. Sich bewusst zu werden, wer man wirklich ist, ohne die äußeren Errungenschaften. Dem Leben mit einem offenen und wahren Herzen zu begegnen, sich Zeit für Warmherzigkeit in Begegnungen mit anderen zu nehmen, Zeit für Mitmenschlichkeit – das ist die wahre Zeit zu leben.

Tanja Nößler

Tanja Nößler


Mein Name ist Tatjana Tanja Nößler und ich wohne und arbeite im Ruhrgebiet. Als ehemalige Standesbeamtin, freie Predigerin und Puppenspielerin habe ich mich immer schon sehr intensiv mit zwischenmenschlichen Themen und dem Gefühlsleben beschäftigt. Seit einigen Jahren setze ich mich als Trauerbegleiterin und nebenberufliche Trauerrednerin auch mit der Endlichkeit des Lebens auseinander. Als Meditations- und Reiki-Lehrerin nach dem Dalmanuta Prinzip und Speakerin habe ich in meiner Freizeit den Podcast PleromaLife - LebensfreudeFülleLeichtigkeit gegründet, in dem ich über verschiedene Lebensthemen philosophiere.

Keine Beiträge mehr verpassen