TILT

Autor: Andrea und Volker Siegert
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In einem Teil meiner Jugend gab es nichts Schöneres, als mich mit meinen Kumpels zu treffen und zu „flippern“. Dieser große Automat, an dem das Spiel noch „live“ stattfand, hatte den Namen „Fire Ball“. Englische Begriffe waren in dieser Zeit hip. Sie halfen aufzuräumen mit dem alten Muff, der in den Köpfen vieler Menschen vorhanden war.

Geld war bei meinen Kumpels und mir Mangelware, deshalb schmissen wir zusammen: 50 Pfennig, 3 Spiele. Wer kein Geld hatte, spielte trotzdem mit. Die Gemeinschaft zählte.

Mit dem Einschießen des Balls begann das Spiel. Scheppernd sammelte die Kugel ihre Punkte zwischen Pointern und Banden. Manchmal so stark, dass die Funken sprühten. Lief die Kugel auf das Tor zu, galt es, sie mit beiden Flippern zurück ins Spiel zu bringen. Darüber wachte der Spieler.

Ich entwickelte mit wachsender Spielerfahrung eine Routine, die durch geschicktes Taktieren und strategisches Verknüpfen die Punktezahl in die Höhe schießen ließ.

An meinen ersten „Highscore“ kann ich mich noch gut erinnern. Es war ein überwältigendes Gefühl, die höchste Punktzahl zu erreichen, der Beste zu sein. So sicherte ich für die Gruppe viele Freispiele. Das sparte die knappen Ressourcen und bescherte uns einen wunderschönen Zeitvertreib.

Mit dem Erreichen des ersten „Highscores“ nahm das Spiel für alle eine Wendung. Aus Spaß entwickelte sich Konkurrenz im Kampf um das Erreichen der höchsten Punktzahl. Mit allen Mitteln wurde aus dem Gerät herausgeholt, was ging. Es wurde gewackelt, gerüttelt, geschüttelt. Übertrieben wir das „Manipulieren“, erschien auf der Spielanzeige „Tilt“. Alle erreichten Punkte waren weg.

Die „Tilt-Funktion“ war einst vom Techniker Harry Mabs entwickelt worden. Sie bewirkt, dass sich ein Stromkreis zwischen einem Pendel und einem Metallring schließt, sobald dieser stärker als normal bewegt wird. Dadurch wollte man die brachiale Gewalt an Flippern unterbinden, die zunehmend zur Beeinflussung des Spiels angewendet wurde. Ich lag mit meinem Handeln also voll im Trend!

GAME OF LIFE

Als nun erwachsener Mann frage ich mich, was dieses Spiel meiner Jugend mit mir zu tun hat. Wie sieht mein „Spiel des Lebens“ eigentlich aus? Wievielmal „ruckele“ ich an meinem Spieltisch? Wie oft kann oder will ich Situationen beeinflussen, obwohl ich den Status Quo nicht halten kann?

Gibt es in meinem Leben auch eine Tilt-Version? Und wenn ja, wer hat sie entwickelt?

Denn scheinbar muss das Leben mir manchmal auf der Anzeigetafel „Tilt“ spiegeln, um zu begreifen, dass ich nichts festhalten kann, so sehr ich mich auch anstrenge.

Richte ich mein Leben auf die Jagd nach dem „Highscore“ aus, werde ich zum Gejagten. Dann muss ich die Gefühle der Wut, der Angst, der Traurigkeit und somit die „Versagensängste“ des Getriebenen ertragen.

Mir ist bewusst geworden, dass ich der Torwächter im Spiel meines Lebens bin, das ich nie aus den Augen verlieren darf. Denn ist die Kugel einmal abgeschossen, befindet sie sich im Spiel und dann gibt es kein Zurück mehr. Ich allein wache über die „Kugel“ meines Lebens, die mir mit ihren Berührungen an „Pointern und Banden“ Millionen von Eindrücken schenkt. Und ich darf Vertrauen haben, dass, selbst wenn eine Kugel meines Spiels „schlecht“ läuft, auch diese Kugel das Spielfeld verlassen wird. Die gute Nachricht ist: „Die nächste Kugel liegt schon bereit“.

Jeder Tag ist eine neue Herausforderung, wie ein Spiel, auf das ich mich freuen darf. Ich kann dankbar sein, dass mir zu jeder Zeit die Möglichkeit geboten wird, mich selbst zu reflektieren. Mich „für“ oder „gegen“ etwas zu entscheiden. Ohne dass das Leben mir „Tilt“ zeigt. Dabei ist nicht die Länge des Spiels entscheidend, sondern der Genuss des Augenblicks. Die Intensität des Erlebten.

Ein Spiel und damit das Leben muss seine Leichtigkeit behalten, damit es ein Spiel bleibt. „Play the game of your life!“

Jeder darf die Erfahrung mit all seinen Sinnen machen und diese in seinem Inneren als tiefes, wärmendes Gefühl entwickeln! Um es so letztendlich dem ewigen Bewusstsein zu schenken. Mein kleiner Fußabdruck als Beitrag an das Leben selbst. Ich freue mich darauf.

 

Bildnachweis für diesen Beitrag: Flipperspiel_Flipperautomat_Bumper_2340087 @ charly3d (pixabay.com CC-0)

Volker Siegert

Andrea und Volker Siegert

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