Was das Leben ausmacht – von der Kraft der Erinnerungen

Autor: Tanja Nößler
Was das Leben ausmacht- von der Kraft der Erinnerungen

Vor einigen Wochen hatte ich in einer Nachbarstadt einen Termin und schlenderte dort eine Straße entlang. Plötzlich spürte ich in meinem Herz ein weiches, vertrautes, liebevolles, aber auch gleichzeitig ein leicht bedrückendes Gefühl. Es dauerte nicht lange, um zu erkennen, woran es lag. In dieser Stadt habe ich wohl einen der letzten unbeschwerten Momente mit meiner Mutter erlebt, bevor die Diagnose kam.

Jetzt war ich mit meinen Gedanken und Terminen ganz woanders. Trotzdem bewirkte die Umgebung, dass die Erinnerung an diesen gemeinsamen lebendigen Moment auflebte. Und obwohl das Gefühl in meinem Herzen wie ein süßer Schmerz züngelte, war es doch auch wie eine entflammende Glut, an der ich mein Herz wärmen konnte. Es war, als würde das Vergangene noch einmal lebendig, als wäre der geliebte Mensch in diesem Augenblick bei mir. Ich setzte mich ins Café, in dem wir zuletzt gemeinsam saßen. So konnte ich diese kleine Zeitreise genießen, als wäre sie im Hier und Jetzt.

Vergangenes loslassen …

Ich fragte mich, ob es wohl sinnvoll war, so eine Rückschau zu halten. Denn Leben kann man ja nur vorwärts – und das ist keine Richtung, sondern eine Lebenseinstellung. Sicher ist es richtig, dass man seine Vergangenheit nicht aufarbeiten muss oder soll, um im „Jetzt“ glücklich zu sein. Es ist eben nicht alles erinnerungswert oder erinnerungswürdig.

Jeder Mensch hat in seinem Leben Ereignisse, die er gerne verdrängen möchte. Es wird nicht darüber geredet und ein großes Schweigen hüllt das Ereignis ein, oftmals ein Leben lang. Und doch ist es Teil des eigenen Lebens und kann sich irgendwann wieder melden, denn das Herzgedächtnis vergisst nichts.

Gelebtes kann man nicht ungeschehen machen. Gelebtes ist das Leben selbst, letztlich kann man alles nur annehmen und sich dazu entscheiden, das Leid loszulassen und mit den unschönen Abschnitten im Leben seinen Frieden finden.

… und Erinnerungen bewahren

Einiges aus meiner Vergangenheit möchte auch ich loslassen, denn diese Geschehnisse haben meinen weiteren Lebensweg blockiert. Damals konnte ich mich nicht mehr frei fortbewegen und kam nicht mehr vom Fleck. Und dennoch habe ich in meinem Herzen so etwas wie ein Schatzkästchen, in dem ich spezielle schöne Erinnerungen aufhebe und diese Kostbarkeiten möchte ich bewahren.

Erinnerungen an gute Zeiten
Erinnerungen an glückliche Momente
Erinnerungen an liebe Menschen und Tiere
Erinnerungen an vergangene Träume
Erinnerungen an meine Herkunft
Erinnerungen an wertvolle Werte.

Erinnerungen, die mir sagen, wie ich zukünftig die richtige Entscheidung treffen kann. Denn aus den Erinnerungen kann man seinen Erfahrungsschatz schöpfen. Ein Erfahrungsschatz, der einem nicht nur hilft zu erkennen, wer man ist, sondern der einem auch eine Entwicklung ermöglicht. Und der einem hilft, das eigene Bewusstsein dafür zu entwickeln, was richtig und wichtig ist im Leben und das auszusortieren, was man nicht mehr möchte.

Nur in der Rückschau kann man oftmals das Vergangene wirklich verstehen. Wie oft höre ich mich sagen: „Heute weiß ich, warum dieses oder jenes damals passieren musste, damit ich in die richtige Richtung gehen konnte. Damit ich heute dort stehe, wo ich bin und die sein kann, die ich bin.“

Sich erinnern, wer man wirklich ist

Das Sich-Erinnern ist das, was das Innere eines jeden Menschen prägt und ausmacht. Es ist das, was man von einem Ereignis in der Vergangenheit oder einer vergangenen Zeit im Bewusstsein hat und was damit das eigene Bewusstsein ausmacht.

Letztendlich kann man sich oftmals gar nicht dagegen wehren, dass man sich plötzlich wieder im Vergangenen wiederfindet. Meist genügt ein Ort, ein Duft oder ein Lied und dann ist plötzlich das, was war, wieder präsent. Manchmal erscheinen innere Bilder und ein gelebtes Gefühl kann mit dem Blick des Heutigen nachgespürt werden.

Ein Mensch, dessen Leben zu Ende geht, erinnert sich oft an besondere Momente und Begegnungen in seinem Leben. Das Jetzt ist noch wirklich, aber auch irgendwie schon nicht mehr intensiv spürbar, die Zukunft ist ungewiss. Ohne diese lebendigen und erfüllten Momente der Erinnerung wäre das Leben inhaltsleer wie ein unbeschriebenes Blatt Papier.

Gute Erinnerungen beschreiben das gelebte Glück

„Gute Erinnerungen sind wie eine gute Führung“, schrieb Henri Nouwen. Und dann mag es nicht so wichtig zu sein, wo man sich gerade im Leben befindet, denn gute Erinnerungen beschreiben das gelebte Glück.
Sie sind wie eine Rück- und Innenschau auf das Gute, das Wahre und Schöne im Leben, auf das, was jede*n Einzelne*n wirklich ausmacht. Gute Erinnerungen ermöglichen es, den Wert des Geschehenen sowie Gegenwärtigen wahrzunehmen und den Wert des eigenen Lebens und das Leben der anderen wertzuschätzen.

In den nächsten Wochen habe ich erneut einen Termin in der Nachbarstadt und dann werde ich mich wieder in das vertraute Café setzen, in dem ich den letzten gemeinsamen unbeschwerten Moment mit meiner Mutter erlebt habe, bevor sie starb. Und dann spüre ich ihre Nähe und das Glück des längst vergangenen Augenblicks, ich erinnere mich so gerne daran.

 

Bildnachweis für diesen Beitrag: Baum, Kirsche, Quartal_3039518 @ happymom33 (pixabay CC-0)

Tanja Nößler

Tanja Nößler


Mein Name ist Tatjana Tanja Nößler und ich wohne und arbeite im Ruhrgebiet. Als ehemalige Standesbeamtin, freie Predigerin und Puppenspielerin habe ich mich immer schon sehr intensiv mit zwischenmenschlichen Themen und dem Gefühlsleben beschäftigt. Seit einigen Jahren setze ich mich als Trauerbegleiterin und nebenberufliche Trauerrednerin auch mit der Endlichkeit des Lebens auseinander. Als Meditations- und Reiki-Lehrerin nach dem Dalmanuta Prinzip und Speakerin habe ich in meiner Freizeit den Podcast PleromaLife - LebensfreudeFülleLeichtigkeit gegründet, in dem ich über verschiedene Lebensthemen philosophiere.

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